Liturgik bzw. Liturgiewissenschaft werden im Folgenden synonym verwendet. Die Begriffe bezeichnen das methodisch kontrollierte Nachdenken über den Gottesdienst in Geschichte und Gegenwart.
Es lassen sich vier liturgiewissenschaftliche Zugänge unterscheiden, die für das Kompetenzzentrum gleichermassen wichtig sind:
- In historisch-genetischer Hinsicht geht es darum, das Gewordensein gottesdienstlicher Formen und theologischer Deutungen zu rekonstruieren, liturgische Transformationsprozesse kulturgeschichtlich zu beleuchten, das Beteiligungsverhalten und Veränderungen der Frömmigkeitsformen zu untersuchen sowie die soziopolitischen Faktoren der Gottesdienstgeschichte zu reflektieren. Das Ziel der historischen Perspektive ist zunächst kein normatives, sondern ein deskriptives. Die historische Rekonstruktion insbesondere des reformierten Gottesdienstes der Schweiz stellt ein wichtiges Forschungsdesiderat dar, welches eine enge Kooperation von Kirchengeschichte und Praktischer Theologie erfordert.
- In systematisch-normativer Perspektive wird nach den theologischen Deutungen des Gottesdienstes gefragt. Diese werden geltungstheoretisch reflektiert, das heisst auf deren Konsistenz und Plausibilität sowie auf deren biblische und konfessionelle Bezüge hin befragt. Die Rekonstruktion, Reflexion und Prüfung theologischer Deutungen erfolgt mit dem Ziel, Kriterien zur Beurteilung und Gestaltung liturgischer Vollzüge zu benennen.
- Die anthropologisch-analytische Herangehensweise reflektiert den Gottesdienst als spezifische Gestalt sozialen Verhaltens in einem kulturwissenschaftlichen Horizont mit besonderer Berücksichtigung ritualtheoretischer und theaterwissenschaftlicher Aspekte (Gottesdienst als Aufführung, Inszenierung, Performance). Aber auch Lerntheorien, Körpertheorien, Raumtheorien sowie die Semiotik spielen für eine anthropologische und kommunikationswissenschaftliche Rekonstruktion des Gottesdienstes eine wichtige Rolle. Sodann sind in dieser Perspektive auch die gesellschaftlichen Bedingungen liturgischen Handelns (Zivilgesellschaft, Individualisierung, Pluralisierung, Säkularisierung, Deinstitutionalisierung etc.) zu bedenken. In dieser Perspektive ist die Liturgik kulturwissenschaftlich anschlussfähig. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte des Kompetenzzentrums liegen mehrheitlich im Bereich anthropologisch-analytischer Zugänge.
- Die Liturgik bewährt sich nicht zuletzt in ihrem Potential, liturgisches Handeln zu orientieren. Insofern ist sie immer auch praktisch-handlungsorientiert ausgerichtet. Damit die Handlungsorientierung nicht einseitig deduktiv erfolgt, ist eine empirisch bzw. phänomenologisch verfahrende Liturgik notwendig. Handlungskriterien lassen sich nicht direkt aus theologischen Grundsätzen ableiten, sondern bedürfen der empirischen Fundierung. Für das liturgische Handeln grundlegend sind zudem professionstheoretische (pastoraltheologische) Bezüge.
Die vier Perspektiven oder Zugänge sind in Forschung und Lehre sowohl unterschieden als auch aufeinander bezogen.
Das Gegenstandsfeld liturgiewissenschaftlicher Forschung wird möglichst weit gefasst. Die zunehmende Pluralisierung und Kasualisierung liturgischen Handelns wird in Rechnung gestellt. Sowohl die Veränderungen als auch die Vielfalt der liturgischen Landschaft werden reflektiert und gewürdigt.